Eigentlich
ist es die Aufgabe des Sachverständigen und nicht des Gauners, dessen
Betrug öffentlich nachzuweisen. Doch Han van Meegeren, mäßig begabt als
eigenständiger Künstler, musste im Jahr 1945 erst gestehen und dann
noch beweisen, dass er ein talentierter Fälscher war. 1942 hatte er dem
sich gern kunstverständig gebenden Reichsmarschall Göring einen
angeblichen Vermeer angedreht, Titel: "Christus und die Ehebrecherin".
Nach Kriegsende klagte man van Meegeren deshalb wegen Ausverkaufs
holländischen Kulturerbes an. Zu seiner Entlastung produzierte van
Meegeren deshalb in Untersuchungshaft einen weiteren Vermeer, dieses
Mal vor Zeugen.
Doch solche
Geständnisse sind selten. Die Echtheit von Gemälden zweifelsfrei
festzustellen ist für Kunstexperten ein häufiger, aber nicht immer
leichter Auftrag. Denn wer für viel Geld ein Meisterwerk kauft, will es
definitiv vom Altmeister gemalt haben. Auch Ausstellungsbesucher und
Kuratoren wollen die Gewissheit haben, auf einem Bild die in Farbe
gebannten rhythmischen Handbewegungen des großen Künstlers und nicht
die eines namenlosen Schülers oder eines geschickten Nachahmers zu
bestaunen.
Unterstützung
bei ihrer Prüfungsarbeit erhalten Kunsthistoriker nun aus einer
entfernten Ecke: von Mathematikern und Informatikern. Dass die
Authentifizierung von Kunstwerken auch für diese inzwischen in den
Bereich des Möglichen gerückt ist, liegt an der flotten Entwicklung der
digitalen Bildverarbeitung. "Digitale Stilometrie" nennt sich die
Technik, mit der typische Merkmale eines Künstlers in Bildern berechnet
werden können. Ihren Ursprung hat die mathematisch basierte Stilkunde
in der Literaturwissenschaft. Ermittelt man mit einer einfachen
statistischen Analyse von Texten beispielsweise die Häufigkeit
bestimmter Wörter, so lassen sich tatsächlich eindeutige Rückschlüsse
auf den Autor ziehen.
"Bei
Malern finden wir in Pinselstrich und Textur eines Bildes eine Art
graphisches Vokabular, das sehr charakteristisch ist", sagt Ella
Hendriks, Chefrestauratorin des Amsterdamer Van Gogh Museums. Auf ihrem
Labortisch landen regelmäßig Gemälde zweifelhaften Ursprungs: Funde von
verstaubten Dachböden, private Erbstücke oder auch Werke, über die sich
Experten schon seit Jahren streiten.
"Bei
Van Gogh beobachten wir bei bestimmten Figuren einen nahezu
rhythmischen Farbauftrag", sagt Ella Hendriks. Fehlt er, kann das der
Hinweis auf eine Fälschung sein. Doch so etwas zu erkennen ist bislang
reine Erfahrungssache. Eine systematische und großflächige
Charakterisierung der Art des Farbauftrags großer Maler gibt es nicht.
Während sich Länge und Breite von Pinselstrichen in etwa noch per Hand
ausmessen lassen, ist es nach bloßer Betrachtung sehr schwierig,
Feinstrukturen, Kurvenformen oder Zusammenhänge von Breite und Länge zu
beschreiben, die einen Rückschluss auf bestimmte Pinsel und die
Pinselführung des Malers zulassen würden. "Hier könnten uns
statistische Methoden in Zukunft helfen", ist sich Hendriks sicher.
Ihr
Arbeitsplatz erinnert zurzeit eher an ein Labor der Rechtsmedizin: Über
einen großen, blanken Tisch schwenkt ein Mikroskop, an der Wand hängt
ein Schaukasten mit Röntgenbildern, in einer Ecke stehen Reagenzgläser
und Chemikalien. Ohne Technik kommen Kunsthistoriker auch jetzt schon
nicht mehr aus. Chemische Analysen zum Beispiel helfen, Farben einer
bestimmten Zeit, einem Hersteller oder gar einem Künstler zuzuordnen.
Spektralanalysen ermöglichen den Blick auf verborgene Farbschichten.
Röntgenstrahlen machen typische Leinwandstrukturen und Kohleskizzen
unter der Farbe sichtbar.
Wenn
sich Ella Hendriks auf die Suche nach Indizien für Van Gogh begibt,
verlässt sie sich allerdings erst mal auf ihren Blick. Der ist geschult
an Hunderten Bildern des Malers und bezieht die Kenntnis über dessen
Wahl von Motiven, Leinwand, Farben, Pinseln und Techniken in die
Bewertung ein. Dazu kommen reichhaltige Kenntnisse über die Biographie
des Künstlers, seine Lebensumstände und seine schöpferischen Phasen.
Dokumente wie Briefe, Tagebücher oder Fotos können ebenfalls nützlich
sein, um ein Werk eindeutig zuzuordnen. Dennoch ist selbst
ausgewiesenen Kennern nicht immer zweifelsfrei die Entscheidung
möglich, ob nicht doch ein Schüler, Zeitgenosse oder trickreicher
Fälscher den Pinsel geschwungen hat.
Auch
Rick Johnson ist deshalb überzeugt, dass mathematische Analysen der
Kunst wertvolle Dienste leisten können. Der Elektroingenieur an der
amerikanischen Cornell University initiierte erst kürzlich einen
interdisziplinären Workshop im Amsterdamer Van Gogh Museum. Erstmals
trafen dort internationale Teams aus Mathematikern und Informatikern
auf Kunstexperten, um ihnen ihre Methoden der Bildverarbeitung
vorzustellen.
Ausgangspunkt
für die mathematischen Analysen waren allerdings nicht die Kunstwerke
selbst, sondern schwarzweiße Digitalfotos von 101 Gemälden, darunter
zwanzig, die nicht Van Gogh zugeordnet werden. Denn im Grunde ist ein
Gemälde durch die schwarzweiße Digitalaufnahme schon in ein Zahlenwerk
übersetzt, mit dem Mathematiker arbeiten können. Jedem der Millionen
Pixel des Fotos ist eine Graustufe und damit ein Zahlenwert zugeordnet.
Pixel für Pixel können sich dann Computerprogramme auf die Suche nach
der Handschrift des Künstlers begeben.
"Eine
unserer Herausforderungen besteht darin, Pinselstriche und Textur aus
den Bildern herauszufiltern und in diesen Daten dann typische
Zusammenhänge aufzuspüren", sagt Ingrid Daubechies, Mathematikerin von
der Princeton University. Als Filter setzte sie, wie die meisten der
übrigen Teilnehmer, sogenannte "Wavelets" ein. Diese Methode hatte sie
in den achtziger Jahren entscheidend mitentwickelt und zu zahlreichen
Anwendungen getrieben, zum Beispiel zur Komprimierung von Bilddaten,
zur Analyse von medizinischen Bildern oder auch zur Verarbeitung von
Musikdaten. Mit verschiedenen statistischen Methoden wurde auf dem
Workshop dann versucht, charakteristische Merkmale für Van Gogh
herauszufinden. Dabei konnten die Computerprogramme aus den Daten der
Originale lernen und die so gewonnenen Erkenntnisse an den Imitaten
überprüfen.
Ingrid
Daubechies entdeckte dabei, dass es einen eigentümlichen Zusammenhang
zwischen Strukturen auf verschiedenen Größenskalen gibt. So haben zum
Beispiel Pinselstriche bestimmter Ausmaße und Richtung stets ein
gleichartig strukturiertes Innenleben. "Das ist ein sehr interessantes
Ergebnis", sagt Ella Hendriks. "Es könnte uns helfen, Fälscher zu
entlarven." Diese führen den Pinsel gewöhnlich nicht mit der gleichen
sicheren Hand, weshalb zwar die äußere Form eines Farbfleckes gut
getroffen sein mag, seine Feinstruktur aber zittrig ist. Dieser
Zusammenhang kommt bei feinen und groben Pinselstrichen jeweils anders
zur Geltung und ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen.
In
ihren Daten haben die Forscher außerdem viele Zusammenhänge gefunden,
die für verschiedene Bilder von Van Gogh charakteristisch sind, in den
Werken anderer Künstler aber nicht auftauchen. Auf welchen
Bildmerkmalen diese Unterschiede genau beruhen, können die Mathematiker
bislang nicht sagen. Dennoch glauben sie, dass das Wissen darüber
einmal dabei helfen könnte, Imitate zu entdecken.
"Unser
Ziel ist es, den Kunsthistorikern eine Art drittes Auge zu verschaffen,
mit dem sie einen neuartigen Blick auf die Gemälde bekommen", sagt
Daubechies. Wie dieser Blick geschärft werden könnte, soll gemeinsam
erarbeitet werden. "Um unsere Methoden gezielt einsetzen und entwickeln
zu können, müssen wir viel mehr darüber wissen, wie die Experten Bilder
betrachten", sagt Daubechies. Das sei vergleichbar mit der
Bildverarbeitung in der Medizin, wo man auch viel von Ärzten habe
lernen müssen.
Zu ähnlichen
Ergebnissen sind auch James Wang und Jia Li von der Pennsylvania State
University gekommen. Sie konzentrierten sich auf die Analyse der
Gemäldetextur und verglichen dazu mehrere Originale und Fälschungen mit
eindeutig echten Trainingsbildern. Kaum überraschend ergaben ihre
Berechnungen, dass nach der Oberflächenstruktur die Fälschungen den
Trainingsbildern häufig unähnlicher waren als Originale. "Doch woran
das genau liegt, müssen wir noch herausfinden", sagt James Wang. Um
eine genaue statistische Analyse durchführen zu können, müssten vor
allem noch die Methoden zur Untersuchung der Pinselstriche verbessert
werden. Die Kante eines Farbkleckses sollte schließlich von einem Riss
in der Farbe oder der durchscheinenden Leinwand unterschieden werden
können. Das leisten die Wavelet-Ergebnisse aber nicht. Noch
hinterlassen zu viele Strukturen verschiedenen Ursprungs nahezu
gleichwertige Kontraste in den Digitalbildern.
Grundsätzlich
ist keine der neuen Methoden dazu in der Lage, Resultate zu
produzieren, auf die sich ein Kunsthistoriker in seinem Urteil auch
verlassen würde. Das stört die Experten aber nicht. Man stehe
schließlich noch ganz am Anfang der Arbeit, wolle voneinander lernen
und sei insgesamt recht hoffnungsvoll, beteuert Rick Johnson. "Ob sich
hier tatsächlich ein neues praktisches Werkzeug für uns entwickeln
wird, werden wir sehen", sagt Louis van Tilborgh, Kurator des Van Gogh
Museums. "Grundsätzlich sind wir aber auch für diese Art von
Hilfsmittel offen."
Gut
gebrauchen könnten Kunsthistoriker neue technische Hilfsmittel
bestimmt, denn über Beschäftigungsmangel haben sie nicht zu klagen. Mit
wachsendem Bekanntheitsgrad moderner Maler steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass auch sie es wert sind, kopiert zu werden.
Selbst Han van Meegeren wird diese Ehre inzwischen zuteil: Im
internationalen Kunsthandel sind Bilder mit der Signatur "van Meegeren"
aufgetaucht, die eindeutig gefälscht sind.
Mitarbeit Sabine Löhr